Vorbild und Nachahmung
Es bedarf der Hingabe von Eltern, ErzieherInnen und allen anderen Mitmenschen, dem Kind in seiner Entwicklung gerecht zu werden. Hierfür gilt es, seine Umgebung, seinen Tagesablauf und sein Tun sinnvoll und seinem Alter angemessen zu gestalten, mit ihm zu erleben und ihm vorzuleben.
Kinder sollten sich nicht nur den Vorstellungen und Bedürfnissen der Erwachsenen anpassen müssen. Sie sollten den zivilisatorischen Einflüssen der Erwachsenenwelt nicht hilflos ausgeliefert sein. Im Waldorfkindergarten wird sich deshalb darum bemüht, den Kindern eine möglichst förderliche Früherziehung zu gewährleisten.Hier wird auf gesunde Ernährung geachtet, auf eine schöne,liebevolle, harmonische Einrichtung aus Naturmaterialien mit Spielsachen, welche die Phantasie und Sinne anregen. Wir pflegen unseren Garten mit kreativen Anregungen zum freien Spiel.
Es liegt in der Natur des Kindes, dass es in bedingungslosem Vertrauen dem Vorbild des Erwachsenen folgen möchte. Das Kind braucht Vorbilder, an denen es sich orientieren kann und die es nachahmen kann. Das äußere Verhalten wie auch die innere Haltung des Erwachsenen bilden eine grundlegende Lernumgebung des Kindes und prägen dessen Biographie auf bestimmte Weise.
Durch die Nachahmungstätigkeit identifiziert sich das Kind mit seinem Vorbild. Somit wird der Erwachsene zum Bildner des Kindes. Seine individuelle Persönlichkeit ist die eigentlich bildende Umgebung des Kindes und die hier entstandene Wesensbegegnung wird zum tragenden Grund für das Lernen des Kindes.
Hier wird ersichtlich, welche Verantwortung der Erwachsene trägt, weshalb sich unter diesem Aspekt auch erkennen lässt, warum Erziehung in erster Linie Selbsterziehung des Erziehers ist.
Denn nur durch Selbsterziehung und immer wieder bewusste Reflexion der eigenen Tätigkeit kann der Aufgabe, Vorbild zu sein, gerecht werden.
Rhythmus, Wiederholung und Jahresfeste
Im alltäglichen Leben sehen wir Rhythmus meist als gegeben und selbstverständlich an. Er ist eine gleichmäßig gegliederte Bewegung jeweils zweier Kräfte, durch deren Zusammenwirken ein Zustand der Ausgeglichenheit bewirkt wird. Rhythmus begegnet uns in vielen Bereichen des Lebens: in der Natur, zum Bespiel beim Wechsel von Tag und Nacht, bei Ebbe und Flut oder im Wandel der Jahreszeiten. Die Sterne bewegen sich in kosmischen Rhythmen, Pflanzen folgen in ihrem Wachstum den Jahreszeiten.
Auch der Mensch hat einen Herz-Atem-Rhythmus. Lebensrhythmen bewusst zu pflegen bedarf einer gewissen Disziplin im Umgang mit uns selbst sowie mit anderen. Dies gilt besonders für die Erziehung und Entwicklung von Kindern.
Die Waldorfpädagogik geht von der Annahme aus, dass Rhythmus in gewisser Weise zur menschlichen Gesundheit beiträgt. Denn was regelmäßig wiederkehrt, schafft Sicherheit.
Im Waldorfkindergarten wird das kindliche Wohlbefinden deshalb durch einen Tagesrhythmus genährt, so dass sich das Kind, in Begleitung von rhythmischen Versen und Liedern, in den Tag einschwingen kann. Dieser Tagesrhythmus ist weiter eingebettet in einen Wochen- und Jahresrhythmus.
Eine weitestgehend gleichbleibende Tagesstruktur und feste Tageszeiten für Essen und Schlafen geben dem Kind Sicherheit und Vertrauen, verhelfen ihm dazu, seinen eigenen Rhythmus zu finden und schützen es vor unnötigen Überraschungen.
Im Waldorfkindergarten ist jeder Tag in Zeiten gegliedert, in denen das Kinder ganz aus seinen eigenen Kräften heraus tätig ist. Neben dem Freispiel, das sowohl drinnen als auch draußen stattfindet, gibt es Zeiten, in denen es durch die ErzieherInnen konkret angeregt wird, wie zum Beispiel im Reigen und im Märchenkreis. Angeregt wird hiermit ein Atmungsvorgang: das Einatmen ist die Phase des Innehaltens und Aufnehmens, das Ausatmen die Phase des Ausströmens und des nach außen Agierens.
Darüber hinaus ist das Kind eingebunden in die Kreisläufe der Natur. Diese zeigen sich neben dem Tages- und Nachtrhythmus auch im Wechsel der Jahreszeiten. Hier erleben die Kinder die Vorgänge in der Natur bewusst und unbewusst mit.
Durch die Jahresfeste, die einen Bezug zu bestimmten religiösen Ereignissen und hiermit zu den Jahreszeiten haben, bietet sich den Kindern die Möglichkeit, zu ihrer natürlichen Religiosität und religiösen Stimmung zu finden. In jeder Familie kann das Feiern der Jahresfeste zu einer eigenen Tradition und Verbundenheit führen, die den Menschen oft ein Leben lang trägt.
Im Kindergarten spiegelt sich die Stimmung der Jahresfeste auch in der Raumgestaltung wider: es gibt einen Jahreszeitentisch, (Woll-)Wandbilder und Blumenschmuck.
Außerdem gibt es zu jeder Jahreszeit und zu jedem Alter ganz bestimmten Erzählstoff (Märchen und Geschichten), Lieder und Verse im Reigen.
Jeder Waldorfkindergarten ist zwar christlich geprägt, aber nicht konfessionell gebunden. Die Feste bieten eine Gelegenheit, den Menschen in seiner Dreiheit von Körper, Seele und Geist anzusprechen.
Das freie Spiel
Das Spiel der Kinder ist eine wichtige und ernste Angelegenheit, mit der sie sich die Welt zu Eigen machen. In seiner Bedeutung ist es mit der Arbeit des Erwachsenen gleichzusetzen, wobei das kindliche Tun auf Impulsen beruht, die aus ihm selbst aufsteigen und dabei völlig zweckfrei gelebt werden dürfen, während die Arbeit des Erwachsenen einen Sinn und Zweck erfüllt, der sich in die äußere Welt fügen muss.
Das freie Spiel bietet eine außerordentliche Grundlage, die eigene Individualität zu entfalten. Umfassend verwirklicht das Kind im Spiel seine Selbstbildung, in dem es auf unterschiedlichste Art und Weise sämtliche Lebenskompetenzen grundlegend übt.
Das Hauptanliegen waldorfpädagogischer frühkindlicher Erziehung ist es, einen gesunden, adäquat gestalteten und einen dem Kind entsprechenden Spielraum zu schaffen. Das Kind soll sich wohlfühlen und seine Spielbedürfnisse entfalten können.
In der Raumgestaltung sollte für die Kinder Klarheit und Ordnung ersichtlich sein.
Das Spiel des Kindes sollte schöpferisch und frei sein. Es sollte die Sinne anregen und dabei unbeeinflusst bleiben von lehrhaften und reflektierenden Eingriffen der Erwachsenen. Das Kind soll die Welt ergreifen und begreifen können. Dabei sollte das Spielmaterial möglichst einfach sein, sodass es dem Kind viel Raum für die eigene Phantasie lässt und vielseitig einsetzbar ist.
Das Spiel bietet dem Kind die Gelegenheit, Erlebtes aus der eigenen direkten Umgebung aus eigenem Willen heraus zu ergreifen und durch nachahmendes tätig werden kreativ zu verarbeiten. Wie nebenbei werden Welterfahrungen, die das Kind täglich macht, im freien Spiel verinnerlicht. Im Spiel begreift das Kind naturgesetzliche Zusammenhänge und erfasst allein durch tätiges Sich-Verbinden mit der Welt das ganze Repertoire der Gesetze der mechanischen Physik, ohne gedankliche Betrachtung und Reflexion. Diese intensive Wahrnehmung, die das Kind hier betreibt, ist die beste Voraussetzung für späteres naturwissenschaftliches Forschen.
Auch negative Erfahrungen, Ängste, Hemmungen oder Aggressionen können im Spiel verarbeitet und abgebaut werden und in positive Kräfte umgewandelt werden. Indem das Kind aus eigenem Antrieb handelt, Werte und Regeln selbst bestimmt, erwirbt es Autonomie, Souveränität und Freiheit. Es lernt, den eigenen, von innen kommenden Impulsen treu zu bleiben und diese tätig in die Wirklichkeit umzusetzen. Es lernt zu fühlen, was es will oder nicht will und was es tut und dabei die Folgen immer besser zu überschauen. Somit erwirbt das Kind Grundlagen der Moralität und Besonnenheit für das spätere Leben und es erlebt die Bedeutung von Freiheit, schöpferischer Phantasie und Ich-Kompetenz, sowie persönliche Verantwortung, Regelbewusstsein und Rücksichtnahme.
Das Spiel wirkt letztlich auf das ganze Wesen des Kindes. In ihm werden die Fundamente für Gesundheit, seelische Empfänglichkeit, Geistesgegenwart und für die Fähigkeit zum verantwortungsvollen Handeln gelegt.
In der Kindheit Erspieltes wird zum „Lebensvermögen“ im Erwachsenenalter.